Anders als der DOSB: So werden Essener Talente gefördert
Von Rolf Hantel – erschienen in der WAZ > Sport > Lokalsport > Essen am 19. Juni 2024

Leistungssportlerin im Schwimmen, Nina Jazy und Stefan Settelmayer (Vorsitzender Olympic Talents e.V.) stehen am Freitag, 14. Juni 2024 am Eingang des Sport und Tanzinternats Essen in Essen-Rüttenscheid. Foto: FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

In der Regel hängt eine Förderung im Spitzensport an der Kaderzugehörigkeit. Ein Essener Verein möchte bewusst einen anderen Weg gehen.
Da sind sie alle Feuer und Flamme: Olympische Spiele. Nur einmal, ein einziges Mal unter den fünf Ringen starten, das ist der Traum unzähliger Talente. Nina Sandrine Jazy hätte es fast geschafft, die junge Freistil-Schwimmerin von der Startgemeinschaft Essen verpasste die Qualifikation für Paris nur knapp. Sie wurde in Berlin mit gerade einmal 18 Jahren schon zum zweiten Mal nach 2022 Deutsche Meisterin über 50 Meter Freistil, aber blieb dennoch zwei Zehntelsekunden über der Olympia-Norm.
Nun startet sie bei den Europameisterschaften in Belgrad und sammelt dort erste internationale Erfahrungen in der offenen Klasse. Die Helmholtz-Schülerin gilt als eines der Top-Talente im deutschen Schwimmsport und ist ein Hoffnungsträger für Olympia 2028 in Los Angeles.
Stefan Settelmayer möchte Probleme aus dem Weg räumen
Das blieb Stefan Settelmayer natürlich nicht verborgen, der die junge Jazy auf ihrem Weg begleiten möchte, um notfalls Steine aus dem Weg zu räumen. Schon vor Jahren hatte der Essener mit seiner Sportmarketing-Agentur (SMR) Athleten zur Seite gestanden, heute ist er Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins „Olympic Talents Ruhr e.V.“, den er Ende 2022 gründete. Arbeitstitel: „Verein zur Förderung von Athletinnen und Athleten olympischer Disziplinen“.
or Kurzem überreichte Settelmayer dem neuen Mitglied Jazy das obligatorische Förderzertifikat. Dazu gab es einen grauen Pullover mit goldener Olympiaflamme als Vereinsemblem auf den Oberarm gedruckt. Und natürlich das Maskottchen – einen weißen Teddy im grauen Leibchen.
Essener Talente sollen sich frei entwickeln können
„Talente müssen unabhängig sein, sie müssen sich frei entwickeln können. Nur so werden sie später bestmöglichen Erfolg haben“, verkündet Settelmayer sein Credo. Will heißen: Das Umfeld der jungen Athleten soll mit Hilfe des Vereins optimiert werden, sodass sich der Nachwuchs voll und ganz auf den Sport konzentrieren kann.
Finanziell bzw. materiell ist Hochleistungssport immer eine Herausforderung, die nicht alle Eltern stemmen können – aus welchen Gründen auch immer. Deshalb lautet ein Kernsatz bei der Sondierung möglicher Kandidaten: „Talent und Leistung zählt, die Herkunft nicht.“
Förderung gilt unabhängig der Kaderzugehörigkeit
Dieser Verein will anders arbeiten als nach den herkömmlichen Strukturen, die oft starr und faktisch daherkommen. Eine paar Hundertstel bei der Quali zu langsam und man ist raus. Eine Formkrise könnte die Kader-Zugehörigkeit und die damit verbundene Förderung kosten. Die Messlatte liegt hoch, die Unterstützung greift erst, wenn’s läuft. „Da bleiben einige schon vorher auf der Strecke“, weiß Settelmayer.  „Manche schaffen erst gar nicht den Einstieg.“ Außerdem fehlen in Trenddisziplinen oft noch feste Strukturen.
 „Olympic Talents“ will es kompetent und unbürokratisch händeln, unabhängig von der Kaderzugehörigkeit, die beispielsweise der Essener Verein für Leistungssport (VfL) zu Grunde legt. „Wir sehen uns als Ergänzung und nicht als Konkurrenz zu den bestehenden Fördereinrichtung“, betont der Vorsitzende. „Wir wollen Lücken schließen und Türöffner sein.“ Chancen bieten und Rückgrat sein.
Verein hilft bei Suche nach einer Wohnung
Private Spender und Unternehmen sowie Einrichtungen wie die Brost-Stiftung oder die „Thekla und Fritz Funke-Stiftung“ geben dem Verein finanziellen Spielraum. Das „Handgeld“ für die Talente bleibt dennoch ganz bescheiden. Aber wenn Nina Jazy im nächsten Jahr ihr Abi macht, braucht die Internatsbewohnerin danach eine Wohnung in der Nähe des Leistungszentrums. Die zwei jungen Mountainbiker des MSV Steele (Vincent Laurich, Ziggy Kaliski) wiederum haben hohe Materialkosten. Und die Teilnahme an Trainingslagern – auch für den Kanuten Liam Buch (KGE) – will bezahlt werden.
Die Hilfe zielt nicht nur auf alles, was der Hochleistungssport einfordert, sondern sie hat auch die Zukunft im Blick. Die Vereinsriege bringt Wissen, Erfahrung und ein Netzwerk ein, will beraten und vermitteln. Manchmal ist schnelle Hilfe erforderlich wie für einen Arzt-Besuch, nachhaltig ist dagegen die pädagogische Unterstützung. Das Lernen fürs Leben darf nicht zu kurz kommen. Was bekanntlich auch die Philosophie des Sportinternats in Rüttenscheid ist, das zum hiesigen Verbundsystem „Eliteschule des Sports“ gehört.
Unterstützer waren selbst im Sport aktiv
Die Unterstützer kommen selbst aus der Praxis: Dabei sind Internatsleiter Horst Melzer (als Trainer viermal bei Olympische Spielen), die Trainer Robert Berger (Kanu/KGE) und Henning  Lambertz (früher Bundestrainer, heute Lehrer) sowie die einstigen Weltmeister und Olympia-Teilnehmer Mark Warnecke, Christian Keller, Joachim Ehrig oder Ansgar Wessling, der 1988 mit dem Deutschlandachter Gold gewann und heute erfolgreicher Unternehmer ist. „Ohne private Unterstützung damals in meinem Verein TV Kupferdreh wäre ich niemals so weit gekommen“, sagt Wessling demütig.
Als Olympia-Botschafter der Stadt Essen kämpfte Stefan Settelmayer vor ein paar Jahren darum, die Olympischen Spiele 2032 ins Ruhrgebiet zu holen. Den Zuschlag bekam allerdings das australische Brisbane. Die olympische Idee geht ihm aber nicht aus dem Kopf, und wenn die Spiele schon nicht nach Hause kommen, dann will Settelmayer mit „Olympic Talents“ wenigstens einige Sportlerinnen und Sportlerinnen dorthin führen.